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Geschichte der SPD Mühlenkamp bis 1988
Ein kurzer Abriss
Gegründet im April 1947 durch Teilung des Distrikts Winterhude-Süd in die beiden Distrikte "Mühlenkamp" und "Jarrestadt". Zur Gründungsversammlung am 5. April 1947 in der Aula der Heinrich-Hertz-Schule kündigte das Hamburger Echo den Genossen Herbert Wehner an.
Damals hatte die SPD-Mühlenkamp mehr als 750 Mitglieder. Heute, 1998, sind es 129.
Als erste zusammenhängende Epoche der Distriktsgeschichte kann die Zeit ab Gründung bis 1972 gelten. Sie war dominiert vom Vorsitzenden Paul Preuß, dessen Frau Gina als Bezirksabgeordnete die Kommunalpolitik des Distrikts gestaltete. Gina konnte ihr Mandat, das sie bis 1961 innehatte, im Jahre 1966 an ihre Tochter Ursel quasi "weiterreichen", die es bis zu ihrem endgültigen Wechsel in die Bürgerschaft 1986 beibehielt. In dieser Epoche bis 1972 war der Distrikt Mühlenkamp nach Anzahl und Herkunft der Mitglieder nicht nur Partei, sondern auch noch eine Art Sozialverband im Milieu der ansässigen Arbeiterschaft. Arbeiterwohlfahrt, Frauenklub, Falkengruppe, Sportverein VfL 93 u.a.m. bildeten einen lebendigen Kranz um den Distrikt herum. Die Mitgliederstärke führte dazu, das noch bis zu drei Wohnbezirksgruppen unterhalb der Distriktsebene bestanden, die sich in verschiedenen Kneipen (Löschkeller, Meyer, Handorf, Pfister) im "Hinterzimmer" trafen. Vom Parteileben der fünfziger und sechziger Jahre ist nur kaum etwas dokumentiert.
Die Epoche endet mit den vier Jahren unter dem Distriktsvorsitzenden Klaus Kröger, in denen sich nicht nur der Generationenumbruch vollzieht, sondern auch der Aufbruch der Studentenrevolte und der hoffungsvolle Beginn der Reformära unter dem neuen Bundeskanzler Willy Brandt. Rückblickend war dies politisch eine äußerst ertragreiche Zeit, in der es dem Distrikt sogar gelang, bedeutsame Antragsinitiativen etwa zur Ostpolitik bis zum Bundesparteitag durchzusetzen. Aber auch die Parteireform und die Steuerpolitik waren Felder, auf denen die Genossen inhaltlich erfolgreich waren.
Die zweite Epoche in der Distriktsgeschichte beginnt mit der folgenschweren "Linkswende" des Jahres 1972, als sich Andreas Ruppert gegen Klaus Kröger als Vorsitzender durchsetzte. Damit brach die Phase an, in der die Jungsozialisten das Distriktsgeschehen dominierten. Sie setzten schließlich 1974 mit Dieter Thiele einen der ihren durch, der bis zu seinem Rücktritt 1982 Distriktsvorsitzender blieb.
In diesen Jahren, in denen bundespolitisch die Reformkräfte in die Defensive gerieten, wurde die Kommunalpolitik zum zentralen Politikfeld des Distrikts. Die SPD-Mühlenkamp nahm den Trend zur Bürgerinitiative offensiv auf und blieb bis Mitte der achtziger Jahre unangefochten die örtlich bestimmende Gestaltungskraft.
1973 konnte die Bauspielplatzinitiative, 1974 die Goldbekhausinitiative gegründet werden. 1975 bezog der Distrikt ein eigenes Stadtteilbüro, das tagsüber als Altentagesstätte der Bodelschwingh-Gemeinde genutzt wurde. Im gleichen Jahr etablierte die SPD-Mühlenkamp die bis heute funktionierende Mieterberatung und gab die erste Nummer der Stadtteilzeitung "Der Mühlenkamper" heraus. In der Bezirksversammlung wurde Mühlenkamp seit 1974 von Dr. Erhard Schäfer erfolgreich vertreten. 1981 konnte mit der Sozialstation Winterhude-Süd in der Forsmannstraße eine der ersten Einrichtungen dieser Art eröffnet werden. 1982 wurde mit dem umgestalteten Schinkelplatz dem Stadtteil ein neuer "Stadtraum" übergeben.
Die kommunalen Erfolge konnten jedoch die inneren Probleme des Distrikts allenfalls überdecken: Seit den Brokdorf-Demos und dem "deutschen Herbst" suchte das politische Milieu, dem auch die JUSOs entstammten, außerhalb der SPD eine neue Perspektive. Sie fanden sie in den sich seit 1977 formierenden Grünen (in Hamburg zunächst "Bunte Liste Eimsbüttel"). Ein Höhepunkt der innerparteilichen Konfliktlage in Hamburg war Mitte 1977 erreicht, als die Unterzeichner einer Solidaritätsadresse gegen den Ausschluß Klaus-Uwe Benneters einem Parteiausschlußverfahren unterworfen werden sollten. Am 7.6.77 trafen sich deshalb über hundert Hamburger Jusos im Distriktsbüro Mühlenkamp, um ihr Vorgehen zu beraten. Auch wenn dieser Konflikt bereinigt werden konnte, so verließen doch viele wichtige, jüngere Genossen danach die SPD - auch in Mühlenkamp. In der Folge vertieften sich manche - ursprünglich politische - innere Trennungslinien der JUSOs (etwa zwischen "Remter" und "Bahnsteig") zu persönlichen Trennungsgräben im Distrikt. Schließlich geriet der Distrikt in eine Organisationskrise (geradezu possenartig: die Kasse war weg!), in deren Folge Dieter Thiele zurücktreten mußte. Damit endete die Epoche der "linken Praxis", die in der Stadtteilgeschichte tiefe und bleibende Spuren hinterlassen hat.
Die dritte Phase der Distriktsgeschichte währte sieben Jahre, in denen nacheinander Matthias Woisin, Erhard Schäfer und Detlef Behrens Distriktsvorsitzende waren. Sie war anfangs geprägt von den Folgen der Organisationskrise. So konnte Der Mühlenkamper nicht mehr regelmäßig erscheinen, das Distriktsbüro konnte nicht gehalten werden, mit dem Vereinshaus des VfL 93 mußte mühsam ein neuer Versammlungsort gefunden werden. Aber mit dem Verlust der Regierungsverantwortung in Bonn 1982 ging auch ein spürbarer Bedeutungsverlust der innerparteilichen Debatte einher, der sich schleichend und dauerhaft im Distrikt bemerkbar machte. Der gleichzeitige Aufstieg der Grünen in Hamburg, ihre Medienattraktivität und Themensicherheit irritierte zusätzlich und machte auch ratlos. Es nimmt nicht wunder, daß im Distrikt in diesen Jahren mit boshafter Schärfe geführte politische und persönliche Konflikte kaum mehr auseinanderzuhalten waren. Höhepunkte waren jeweils die Kanidatennominierungen für Bürgerschaft und Bezirksversammlung. Die Härte der Auseinandersetzung dieser Jahre hatte z.T. auch biographische Gründe: Etliche Genossen des aktiven Kerns, die die SPD stets nur als Vehikel für weitergehende politische Ziele betrachtet hatten, waren zwischenzeitlich zu so viel Einfluß gelangt, daß sie es versäumt hatten, sich "rechtzeitig" der GAL zuzuwenden: Zuwenig war dort für sie zu gewinnen und zuviel hatten sie in und mit der SPD aufzugeben. Aber in der SPD hatten sie ihre idelle und politische Basis einfach verloren und so blieb letztlich doch nur der lange und schmerzhafte Abschied aus dem Distrikt.
Mit der Wahl von Egon v. Mach 1989 war die Zeit der rot-grünen Trennungskonflikte im Distrikt weitgehend beendet. Die Öffnung der Mauer im November 1989, der Zusammenbruch der DDR und damit auch die Desavouierung des Begriffs "Sozialismus" ließ allen Streit innerhalb der dezimierten SPD-Linken nun als eine Art historische Albernheit erscheinen - sehr zu Unrecht, wie ich meine. Nach dem kurzen Zwischenspiel mit Karl Fisher, der nach kaum einem Jahr als Vorsitzender aus beruflichen Gründen nach Brandenburg ging, trat Elisabeth Schilling 1992 das Erbe des Distriktsvorsitzes an. An die Stelle der harten politischen und intellektuellen Auseinandersetzung trat nun die Sorge um den Erhalt der Organisation und die angemessene Besetzung der Mandate. Mit der Wahl von Ortwin Runde zum Bürgermeister müssen sich jedenfalls all jene Kräfte, die seit 1969 in der SPD auf Seiten der Linken aktiv waren, gleichzeitig am Ziel und am Ende sehen.
Es ist, als warte nun der Distrikt darauf, von irgendeiner politischen Idee - es muß ja nicht gleich eine ganze Generation sein - wachgeküßt zu werden. Mag sein, daß dies nach der nächsten Bundestagswahl geschieht und dann wieder eine Epoche neu eröffnet werden kann.
Dr. Matthias Woisin